Ein Konzept des
gesamtökologischen Bauens (DBZ 9/2000)
Die Basis der Bewertung
der 'ökologischen Eigenschaften' eines Gebäudes war in der Vergangenheit
häufig nur der Helzwärmebedarf. Dieses führt bei vielen
Baumaßnahmen zu Fehleinschätzungen des Energiebedarfsstandards.
Allein der
Herstellungsenergiebedarf der Baumaterialien für ein durchschnittliches
in
Stein- oder Betonbauweise errichtetes Gebäude entspricht dem Heizenergie-
und
Strombedarf des Gebäudes für ca. 20 Jahre (Basis WSVO'95). Dementsprechend
kann erst durch eine gesamtökologische Betrachtung des gesamten Lebenszyklusses
eines Bauvorhabens, beginnend mit den energetischen Aufwendungen für
die
Herstellung und den Transport der Baumaterialien, über die Nutzungsphase
mit all
ihren Facetten bis hin zum Abriss, eine Aussage über den wirklichen
Energiebedarf
des Gebäudes getroffen werden.
Erst eine deutliche Verringerung des Energieeinsatzes in den Bereichen
Herstellung,
Nutzung und Rückbau ermöglicht es von einem echten ,Niedrigenergiehaus'
im
wahrsten Sinne des Wortes zu sprechen.
Die Bilanzierung
des Herstellungsenergiebedarfs eines Gebäudes
Die Auswahl der einzelnen Baumaterialien bestimmt nicht nur den Energiebedarfs-
standard für die spätere Beheizung sondern eben auch den durch
die Herstellung und
den Transport der Materialien erforderlichen Energieeinsatz. Die Unterschiede
der
energetischen Aufwendungen für die Baumaterialherstellung können
erheblich sein.
Bei einigen Baumaterialien muss man von Energiebedarfsunterschieden um
das
zehnfache ausgehen.
Vereinfacht lässt
sich feststellen, dass Materialien die eine längere Produktionskette
durchlaufen haben - vor allen Dingen solche, die eine thermische Behandlung
bei
hohen Temperaturen erfahren haben - einen erheblich größeren
Energiebedarf
aufweisen als Materialien, die naturnah' eingesetzt werden können
(wie z.B. Holz).
Die im Rahmen der gesamtökologischen Betrachtung angewandte ganzheitliche
Bilanzierung des für die Herstellung notwendigen Energieeinsatzes
lässt sich in drei
Schritten darstellen. Am Anfang steht die virtuelle Zerlegung des Gebäudes
in seine
Baugruppen' und deren Baumaterialien.
In einem zweiten Schritt werden die Baustoffe energetisch bewertet und
entsprechend
ihrem Anteil am Gebäude gewichtet. Die Ermittlung der Energiekennzahlen
sowie die
Prüfung der Zulässigkeit der Anwendung auf das jeweils betrachtete
Objekt kommt
dabei eine Schlüsselrolle zu, um die Basis für eine verlässliche
Bilanzierung zu
erhalten. Die notwendigen Transportenergien für die Baustoffe sowie
für ihre jeweiligen
Rohstoffe werden additiv bilanziert. Nach dem Zusammenfügen allerEinzelaufwen-
dungen entsteht ein Gesamtbild des betrachteten Gebäudes.
Wiederholt man die Bilanzierung für mögliche Bau(stoff)varianten,
lässt sich der direkte
Vergleich des Herstellungsenergiebedarfs, z.B. zwischen einer Holzständer-
und einer
Massivbauweise für das konkrete Objekt durchfuhren.
Betrachtet man nun
ergänzend die sich durch die einzelnen Bauweisen ergebenden
Energieaufwendungen in der Nutzungsphase sowie die jeweiligen spezifischen
energiereievanten Bedingungen für den Rückbau des betrachteten
Gebäudes, erhält
man einen Überblick über den gesamten Gebäude-Lebenszyklus.
Sinnvollerweise sollte ein derartiges Bilanzierungsverfahren schon zu
einem frühen
Planungszeitpunkt mit einbezogen werden um mögliche Material- bzw.
Ausführungsvarianten berücksichtigen zu können. In der
Praxis hat sich hier ein
iteratives Vorgehen in enger Zusammenarbeit mit den Fachplanern (Architekten,
Statikern, Installationsplanern usw.) bewährt.
Das Institut für
Gesarntökologischen Wohnungsbau an der Universität
Paderborn
Erst die interdisziplinäre Zusammenarbeit der unterschiedlichsten,
direkt, bzw. indirekt
mit dem Bau von Gebäuden zusammenhängenden Fachdisziplinen ermöglicht
den
Schritt von einem energetisch geprägten Ansatz hin zu einem gesamtökologischen
Konzept. Aus diesem Grunde unterhält das Institut f ür Gesamtökologischen
Wohnungsbau die Arbeitsgruppe Mensch-Haus-Umwelt und hat somit neben der
Kerndisziplin der ganzheitlichen energetischen Bilanzierung von Baumaßnahmen
auch
die Rolle einer Koordinierungsstelle für eine gezielte Zusammenarbeit
der Planungs-
und Ausführungsdisziplinen übernommen.
Gerade die sehr effektive und schnelle Rückkopplung zwischen Forschung
und
Umsetzung ermöglicht es, ökologische und ökonomische Notwendigkeiten
zu
verbinden. Genau das ist beim Bau des neuen Gebäudes des Instituts
in besonderem
Maße gelungen. Bei diesem Gebäude steht das Recycling von gebrauchten
Raumzellen aus Stahl sowie die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen
-
Wände aus stranggepreßtem Stroh - im Mittelpunkt. Diese Kombination
von "altem
Stahl und neuem Stroh", wie eine lokale Tageszeitung anlässlich
der Einweihung durch
den Bauminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Michael Vesper im
April d.J.
titelte, ermöglicht eine sehr weitgehende Reduzierung des Herstellungsenergiebedarfs
bei gleichzeitig mit 1 700 DM/qm sehr geringen Herstellungskosten (inkl.
Grundstück
und aller Nebenkosten). Hinzu kommt, daß die gesamte Bauzeit des
Gebäudes - von
der Vorbereitung für die Fundamente bis zum Einzug der ersten Nutzer
- nicht einmal
80 Arbeitstage betragen hat.
Das Mensch-Haus-Umwelt-Gebäude
im Technologlepark
Paderborn
Grundsätzlich
lässt sich für die gesamtökologische Bewertung einer Baumaßnahme
feststellen, dass der Neubau eines Gebäudes in der Regel schlechter
zu bewerten ist
als die Anpassung einer bereits vorhandenen Immobilie an die neuen Bedürfnisse.
Wenn nun aber doch ein neues Gebäude errichtet werden soll, dann
liegt die
energetisch beste Lösung in der Verwendung recycelter Baumaterialien
- vor allem für
die Materialien, die in der Herstellung besonders energieintensiv sind.
Genau dieser Sachverhalt trifft für das rund 3000 m' große
Mensch-Haus-Umwelt
Gebäude im Technologiepark Paderborn zu. Würde das für
die tragende Konstruktion
notwendige Stahlgerüst als Summe der Raumzellen explizit für
diese Baumaßnahme
hergestellt, wäre der damit verbundene Energieeinsatz gegenüber
möglichen
Alternativen wie einer Holz-, Mauerstein- oder Betonkonstruktion nicht
zu rechtfertigen.
Der mit den gebrauchten Raumzellen umgesetzte Recyclinggedanke ist also
nicht nur
ein ökonomisches Mittel, sondern vielmehr eine konsequente Umsetzung
des
gesamtökologischen Ansatzes. Weil bei der Auswahl der ausfachenden
Baumaterialien auf einen möglichst geringen Herstellungsenergiebedarf
geachtet
wurde, ließ sich der energetische Vorteil noch weiter ausbauen.
Beispielsweise ist die
verwendete Karphos Wand (Wand aus mit Pappe kaschiertem, stranggepressten
Stroh) aufgrund ihres sehr geringen Herstellungsenergiebedarfs ein wichtiger
Baustein
in Richtung eines bewussten Energieeinsatzes.
In der Grafik ist der Energiebedarf für die Herstellung der wesentlichen
Gebäudebestandteile zusammengetragen und zwei alternativen Bauweisen
gegenübergestellt. Zum einen handelt es sich dabei um die Errichtung
des gleichen
Gebäudes unter Verwendung neuer Stahlraumzellen, zum anderen um die
Errichtung
eines nach Größe und Funktionalität vergleichbaren Gebäudes
in Betonständer-
bauweise.
Beide Alternativen weisen einen erheblich größeren Herstellungsenergiebedarf
auf.
Maßgeblich für diesen Unterschied sind die tragenden Gebäudeteile,
wobei jedoch
berücksichtigt werden muss, dass die verwendeten gebrauchten Stahlraumzellen
als
energetisch abgeschrieben angesetzt wurden und somit lediglich die für
den Transport
notwendige Energie in die Berechnung mit eingeht.
Aber auch bei Ansatz eines hohen Restenergieinhaltes für die gebrauchten
Stahlraumzellen ist der energetische Vorteil noch sehr deutlich. Gleichzeitig
zeigt sich
jedoch auch, dass die beim Mensch-HausUmwelt-Gebäude angewandte Bauweise
nicht unbegrenzt einsetzbar ist, sondern nur in dem Maße, wie gebrauchte
Raumzellen
zur Verfügung stehen.
Betrachtet man jedoch die Zahl von 30.000 zur Zeit in Europa auf Halde
liegenden
gebrauchten Raumeinheiten und stellt sie der Zahl von 90 Raumzellen gegenüber,
die
das betrachtete Gebäude bilden, wird klar, dass noch ein großes
Potential besteht.
Derzeit projektiert die Arbeitsgruppe Mensch-Haus-Umwelt zusammen mit
den
kooperierenden Bauträgern neben einer Vielzahl von Wohngebäuden
in
Holzständerbauweise mehrere Schulgebäude sowie eine Reihenhausbebauung
aus
gebrauchten Stahlraumzellen.
Die ökonomische Attraktivität der Bauweise führt dazu,
das gerade auch Konzepte
wie z.B. das ,Lebensabschnittshaus' - geboren aus der veränderten
Situation bezüglich
Mobilität und Haushaltsgröße - in diesen Planungen umgesetzt
werden können.
|